Intensiviert sich die Krise klassischer Medien?

27. März 2025
© Kurier, Gerhard Deutsch
© Kurier, Gerhard Deutsch
Medienökonomische Perspektiven auf die „vierte Gewalt“ in Österreich von Hendrik Theine, Daniel Grabner, Benjamin Ferschli und Juliane Friedrich

In der aktuellen Ausgabe der österreichischen Zeitschrift „Wirtschaft und Gesellschaft", der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der Arbeiterkammer Wien, werden die Auswirkungen der Digitalisierung auf die ökonomische Lage der Medienbranche in Österreich sowie die daraus resultierenden Konsequenzen für die Pressefreiheit als „vierte Gewalt“ untersucht. Der Artikel beschreibt drei zentrale Trends, die als kritische Wendepunkte der Nachrichtenmedienkrise verstanden werden können: (1) die Verlagerung der Mediennutzung ins Digitale, (2) die Abwanderung der Werbeumsätze zu Digitalkonzernen und (3) die damit verbundene Krise bzw. den teilweise vollständigen Zusammenbruch traditioneller Geschäftsmodelle etablierter Nachrichtenmedien. Durch das Zusammenwirken dieser Trends lassen sich bereits jetzt Folgen für die Medienbranche feststellen: Kürzungen an der Breite und Tiefe journalistischer Arbeit werden vorgenommen, außerdem erhöht sich die Abhängigkeit von den verbleibenden Einnahmequellen. Mittelfristig ist es wahrscheinlich, dass es auch in Österreich zu einer noch stärkeren Konsolidierung des Mediensystems durch Insolvenzen und Zusammenschlüsse kommt, was die Medienvielfalt und -qualität in Österreich weiter bedroht.

Fazit und Ausblick: Medien im digitalen Kapitalismus

Im vorliegenden Beitrag haben wir analysiert, inwiefern und auf welche Art sich die fortschreitende Digitalisierung auf österreichische Nachrichtenmedien auswirkt. Anhand empirischer Daten zu Umsätzen, Werbeeinnahmen und Medienkonsum und auf Basis von existierender Literatur, Studien und journalistischen Beiträgen haben wir die ökonomische Lage österreichischer Nachrichtenmedien nachgezeichnet. Drei aktuelle Trends, welche wir als kritische Wendepunkte der Nachrichtenmedienkrise verstehen, sind dabei von Interesse: (1) die Verlagerung der Mediennutzung ins Digitale, (2) die Abwanderung der Werbeumsätze zu Digitalkonzernen und (3) die damit verbundene Krise bzw. der teilweise vollständige Zusammenbruch traditioneller Geschäftsmodelle etablierter Nachrichtenmedien. Aufgrund der Digitalisierung werden klassische, auf Werbung oder Verkauf von Produkten basierende Finanzierungsmodelle traditioneller Qualitäts- und Boulevardmedien zunehmend schwierig, was zu unsteten Umsätzen und finanziellen Herausforderungen für jene Medienunternehmen führt. Daran anschließend haben wir vier mögliche Auswirkungen des voranschreitenden digitalen Strukturwandels identifiziert und diskutiert. Wir haben dabei erstens die beobachtbaren Einsparungen bei der journalistischen Arbeit und insbesondere den kontinuierlichen Stellenabbau von Journalisten nachgezeichnet, welcher die Recherche und Nachrichtenproduktion erschweren. Zweitens haben wir die zunehmende Konsolidierung und Konzentration der österreichischen Medien und damit zusammenhängend drittens die Gefahr von Insolvenzen und regionalen „Nachrichtenwüsten“ betrachtet. Auch wenn die Lage bisher noch vergleichsweise stabil zu sein scheint, gibt es Anzeichen dafür, dass es auch in Österreich aufgrund der finanziellen Einbußen zu zunehmender Konsolidierung, Insolvenzen und „Nachrichtenwüsten“ kommen könnte. Viertens haben wir die zunehmenden Abhängigkeiten von verbleibenden Einnahmequellen besprochen, welche das Risiko politischer und ökonomischer Einflussnahme auf die Berichterstattung beinhalten. Aufgrund des strukturellen Charakters der beschriebenen Trends und Auswirkungen kann davon ausgegangen werden, dass sich die medienökonomische Situation der Nachrichtenmedien in Österreich in naher Zukunft relativ schnell weiter verschlechtern wird. Der schwindende kommerzielle Erfolg und die sich zuspitzende Medienkrise trägt auch dazu bei, dass sich die ohnehin schon oft prekäre und umkämpfte Abhängigkeit von politischen und ökonomischen Interessen weiter zuspitzt (Nielsen 2017). Wie genau sich diese zunehmenden Abhängigkeiten auf die journalistische Arbeit und letztendlich auf die Inhalte auswirken, ist empirisch nicht leicht festzustellen und für den österreichischen Kontext bisher wenig unter-sucht. Es gibt aber einige Hinweise auf zunehmende Einflussnahme bzw. deren Versuche. In den diversen politischen Skandalen der letzten Jahre wurde auch immer wieder deutlich, wie eng die Politik und die Medienbranche in Österreich miteinander verzahnt sind. Beispielsweise wurden im Rahmen der Inseraten-Affäre unter der Regierung Kurz die Verbindungen zwischen ÖVP und dem Österreich-Herausgeber Wolfgang Fellner, dem Ehepaar Eva und Christoph Dichand, Miteigentümer von Heute (Eva Dichand) und Kronen Zeitung (Christoph Dichand) sowie dem Presse-Chefredakteur Rainer Nowak ersichtlich (Huber/Pühringer 2021; Schwarz 2023; ORF 2022). Doch auch für andere Parteien und Zeitungen gibt es immer wieder Berichte von Aussteigern aus Medien- und Politikbranche, die von gestrichenen Inseraten und der (versuchten) Verhinderung von kritischer Berichterstattung berichten (Lorenz et al. 2021). Eine wissenschaftliche Analyse legt nahe, dass die Zeitung Heute und der dazugehörige TV-Sen-der Oe24 wesentlich positiver über Sebastian Kurz berichtet haben als Medien, die nicht in die Inseraten-Affäre verwickelt waren (Balluff et al. 2023).

„Die Krise hat systemischen Charakter und ist keine rein technologische, unternehmerische oder anreizbasierte Krise“

Hinsichtlich der zuvor diskutierten öffentlichen Inserate hat das investigative Magazin „Dossier“ außerdem mehrere Fälle aufgedeckt, in denen die Erhöhung der Werbeetats der Landes- und Bundesministerien mit den Wahlkämpfen zusammenfielen. Damit liegt der Verdacht nahe, dass Steuergelder für den Wahlkampf der regierenden Parteien verwendet wurden. Während in Deutschland ein gesetzliches Urteil von 1977 das verstärkte Inserieren der Regierungen in Wahlkampfzeiten beschränkt, gibt es in Österreich keine vergleichbaren gesetzlichen Regelungen (Sim/Skrabal 2021). In den Monaten vor der Wahl „schalten Ministerien mitunter sogar mehr Inserate als politische Parteien, für die es im Wahlkampf eigentlich um alles gehen sollte“, stellen Sim und Skrabal (2021) fest. Dies sollte in Zukunft zwar weniger leicht möglich sein, da eine Novelle des Medientransparenzgesetzes Anfang 2024 in Kraft getreten ist, die dies verhindern soll (Leidinger/Fidler 2024). Gleichzeitig besteht die grundlegende Problematik aber noch immer. Die vorliegende Analyse und die in den zwei vorangegangenen Absätzen skizzierte zunehmende Gefahr der Einflussnahme auf mediale Inhalte bekommen vor den aktuellen politischen Hintergründen eine zusätzliche Dynamik. Zum Zeitpunkt, zu dem wir dieses Fazit verfassen, zeichnet sich eine zukünftige FPÖ-ÖVP-Regierung ab. Einerseits drohen angesichts des Budgetdefizits umfassende Austeritätsmaßnahmen, die indirekt, aber auch direkt Auswirkungen auf den Mediensektor haben werden. Andererseits stehen unter einer FPÖ-geführten Regierung größere medien- und gesellschaftspolitische Weichenstellungen im Raum. Gerade die offenen Sympathien, die FPÖ-Funktionäre für Viktor Orbáns Regierung in Ungarn hegen, wecken Bedenken. Teil der „Orbanisierung“ in Ungarn war es, die Medienfreiheit einzuschränken und Medien stärker unter politische Kontrolle zu bekommen. Wissenschaftliche Analysen zeigen dabei, dass insbesondere vier Faktoren eine zentrale Rolle bei Einschränkungen der Medienfreiheit spielen: (1) die Rolle öffentlicher Inserate als Einnahmequelle für Medien, (2) die Medienkonzentration bzw. die Anzahl der relevanten Akteure, (3) die Kontrolle über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sowie (4) die Medienregulierung generell (Bátorfy/Urbán 2020; Urbán et al. 2023; Benedek 2024). Die ersten beiden Faktoren sind – wie in unserer Analyse gezeigt – auch in Österreich kritisch zu sehen. Öffentliche Inserate sind ein bedeutsamer Teil der Einnahmequellen von Medien in Österreich. Eine zukünftige FPÖ-ÖVP-Regierung könnte öffentliche Inserate noch stärker an wohlgesonnene Medien vergeben und andere tendenziell aushungern. Am Rande der Koalitionsverhandlungen hatten mehrere FPÖ-Politiker beispielsweise angekündigt, Inserate an Medien wie „Der Standard“ einstellen zu wollen (Bonavida/Miller 2025). Bezüglich des zweiten Punktes lässt sich sagen, dass Österreichs Medienmarkt bereits jetzt hoch konzentriert ist – die zunehmende Medienkrise wird diese Konzentration wahrscheinlich noch weiter vorantreibe. Eine hohe Medienkonzentration bedeutet, dass nur wenige große Unternehmen auf den österreichischen Medienmärkten aktiv sind. Je weniger Unternehmen, desto leichter ist es, auf diese Einfluss zu nehmen. Die beiden weiteren Faktoren (die Kontrolle über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Medienregulierung) scheinen die Freiheitlichen ebenso im Blick zu haben. FPÖ-Mediensprecher Hafenecker forderte wiederholt die Abschaffung der aktuellen Finanzierung des ORF per Haushaltsabgabe. Stattdessen soll der ORF nach Plänen der FPÖ künftig aus dem laufenden Bundesbudget finanziert werden. Damit hätte das Finanzministerium die Möglichkeit, jährlich über den Umfang der finanziellen Ausstattung des ORF zu entscheiden. Für eine solch weitreichende Kontrolle des ORF ist eine einfache Mehrheit im Parlament ausreichend (Trappel 2025). Darüber hinaus stellt FPÖ-Mediensprecher Hafenecker beispielsweise die Kürzung der Medienförderungen per Gesetzesreform in Aussicht (Trappel 2025). Weiters plant die FPÖ, einen parteieigenen österreichweiten Radiokanal zu etablieren. Das dürfte aber mit aktuellen Regulierungen in Konflikt stehen: Das Privatradiogesetz schließt politische Parteien als Betreiber von Radiosendern dezidiert aus (Fidler 2025). Sollte die FPÖ ihre Pläne realisieren wollen, müssten Gesetze geändert werden. Insgesamt gerät die ohnehin schon umkämpfte politische Unabhängigkeit der Redaktionen in Österreich damit weiter unter Druck – und kann unter einer FPÖ-ÖVP-Regierung schnell durch die vorliegenden medienökonomischen Hebel weit-reichende Einschränkungen erfahren. Was kann dagegen getan werden? Die Krise hat systemischen Charakter und ist keine rein technologische, unternehmerische oder anreizbasierte Krise: „Wenn wir anerkennen, dass keine unternehmerische Lösung in greifbarer Nähe liegt – wenn wir aufhören, nach einer magischen technologischen Lösung oder einem Allheilmittel des Marktes zu greifen –, können wir damit anfangen, aggressiver nach nicht marktbasierten Alternativen zu suchen“ (Pickard 2020, 164).

„Auch wenn die Lage bisher noch vergleichsweise stabil zu sein scheint, gibt es Anzeichen dafür, dass es auch in Österreich aufgrund der finanziellen Einbußen zu zunehmender Konsolidierung, Insolvenzen und „Nachrichtenwüsten“ kommen könnte.“

Dementsprechend bedarf es einer Diskussion um Alternativen zu privatwirtschaftlichen Geschäftsmodellen und der hohen Abhängigkeit von wirtschaftlichen und politischen Interessen. Hinsichtlich der Finanzierung gibt es für den österreichischen Kontext zahlreiche Vorschläge, wie die „ideell und konzeptuell aus dem Ruder gelaufen[e]“ (Kaltenbrunner, zitiert in Lorenz et al. 2021) Inseratenvergabe reformiert werden könnte. Der Presseclub Concordia (2021) schlägt beispielsweise vor, die aufgewendeten Mittel für Inserate stark zu begrenzen und die eingesparten Beträge dann für eine koordinierte und konvergente Journalismus- und Medienförderung aufzuwenden. Diese Förderung sollte Projekten, Organisationen und Medienunternehmen zugutekommen, die folgende Grundsätze erfüllen: die Unterstützung journalistischer Arbeitsplätze, die Einhaltung professioneller und ethischer Grundsätze sowie die strikte Trennung von Redaktion und Werbung. Neben einer stärkeren Transparenz der Mittelverteilung würde ein derart reformiertes System journalistische Aus- und Weiterbildung fördern, einen stärkeren Fokus auf Qualität statt Quantität in den Kriterien zur Festlegung der Höhe der Förderung legen und auch digitale Medieninhalte verstärkt fördern (Murschetz 2020). Einige kleine Verbesserungen beinhaltet das reformierte Medientransparenzgesetz (APA News 2022), welches 2024 in Kraft getreten ist. So muss nun jede Vergabe öffentlich einsehbar sein – und nicht nur Summen ab 5.000 Euro –, und auch die Vergaberichtlinien wurden hinsichtlich Qualitätskriterien angepasst. Gleichzeitig ist diese Reform weit entfernt von tiefergehenden Veränderungen und einer systematischen Neuaufstellung der fehlgeleiteten Inseratenschaltung. Grundlegend und zentral ist es, die Presseförderung so zu reformieren, dass sie unabhängiger von politischen Entscheidungsträgern und der Parteipolitik ist. Pickard (2020) schlägt in diesem Zusammenhang eine Art „doppelt blinden“ Prozess der Presseförderung vor. Die Idee ist, dass sämtliche Förderungen in einen „Public Media Trust Fund“ fließen, welcher dann für die Vergabe und Auszahlung zuständig ist. Das würde eine größere Unabhängigkeit der journalistischen Arbeit ermöglichen. Um die Finanzierung auszuweiten, bringt er Ideen wie Steuern auf Plattform-Konzerne, die Umwidmung bestehender Subventionen und die Umleitung privater Großspenden an einzelne Medienunternehmen ins Spiel. International gibt es bereits Best-Practice-Beispiele, die im Artikel angesprochene Auswirkungen verhindern sollen. Um der Gefahr von Nachrichtenwüsten gezielt entgegenzuwirken, gibt es in Schweden den Press Subsidies Council zur Aufrechterhaltung der Medienvielfalt im ländlichen Raum, der seit über 40 Jahren verhindert, dass es Regionen gibt, die von nur einer Zeitung dominiert werden (Pickard 2020). Neben der Reform der Medienfinanzierung braucht es auch eine Stärkung nicht gewinnorientierter Medienorganisationen (wie Genossenschaften oder Non-Profit-Medienorganisationen), um Nachrichtenproduktion wieder als das anzusehen, was sie eigentlich ist – ein notwendiges öffentliches Gut, das zu einer funktionierenden Demokratie beiträgt (Pickard 2023). Hier stellt sich auch die Frage, wer eigentlich über die Produktion medialer Inhalte entscheidet. In diesem Zusammenhang schlägt Cagé (2016) vor, dass Medien stärker demokratisiert werden sollten, sodass Anteilseigner bzw. Eigentümer weniger Einfluss auf die Inhalte nehmen können und diese stärker durch das Publikum bestimmt werden. Pickard (2020) bringt auch die Idee ein, dass auch Journalisten in Abstimmung mit den lokalen Gemeinschaften stärker über Inhalte bestimmen sollten, zum Beispiel, indem sie selbst Anteilseigner der Medien werden könnten, sogenannte „workerrun cooperatives“ oder in weniger radikaler Form zumindest gestützt durch starke Gewerkschaften. Unabhängig von potenziell größeren Umstrukturierungen ist es wichtig anzuerkennen, dass die Sicherstellung einer unabhängigen Finanzierung der entscheidende Punkt ist, um eine weitere Verschärfung der Medien- und Demokratiekrise in Österreich zu verhindern. Dafür braucht es ein demokratisches Mediensystem, das möglichst Unabhängigkeit von kapitalistischer Profitlogik und (kurzfristiger) Macht- und Parteipolitik ist und im Sinne eines öffentlichen Guts kritische Berichterstattung bietet. Politische Gesetzgebungen, die sich den in unserem Artikel aufgezeigten Kipppunkten entgegenstellen, fehlen derzeit jedoch in der österreichischen Medienpolitik.

https://journals.akwien.at/index.php/wug/article/view/264/256

 

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