
Der Beauty-Filter macht’s möglich: Makellose Gesichter und gestählte Körper überschwemmen den Social-Media-Feed von Kindern und Jugendlichen. Diese Bilderflut führt zu Vergleichen, bei denen das eigene Spiegelbild oft nicht mithalten kann. Laut Studien kann das Körperbildstörungen und Essstörungen begünstigen. Eine häufig diskutierte Lösung ist die Kennzeichnung bearbeiteter Fotos. Möglicherweise ist diese Lösung aber nicht so verlockend einfach, wie sie klingt. Vielversprechender könnte sein, bei den Algorithmen der Plattformen anzusetzen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten des Leibniz-Instituts für Medienforschung | Hans-Bredow-Instituts (HBI) im Auftrag der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM).
Kennzeichnung bringt nicht den gewünschten Effekt
Insgesamt kommt das Gutachten zu dem Schluss, dass eine effektive gesetzliche Kennzeichnungspflicht mit Blick auf mögliche Anwendungsbereiche und den bestehenden medienrechtlichen Ordnungsrahmen voraussetzungsvoll ist. Hinzu kommt, dass eine Kennzeichnung nach aktuellem Forschungsstand sogar gegenteilige Effekte bewirken könne, indem sie zu einer intensiveren Betrachtung markierter Inhalt führe. Das könne zu einer gesteigerten Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper führen. Angesichts dieser Studienlage gewinnen alternative Regulierungsansätze an Bedeutung.
Anpassung der Empfehlungslogiken
Ein vielversprechender Ansatz setzt direkt bei den Plattformen an: So beeinflussen Social-Media-Plattformen durch ihre Empfehlungsalgorithmen das Körperbild junger Menschen, indem sie ähnliche, oft unrealistische Schönheitsideale verstärkt präsentieren. In der gezielten Anpassung dieser Algorithmen könnte eine wirksame Gegenmaßnahme liegen, um vielfältigere und realistischere Körperdarstellungen zu fördern. Plattformen könnten dies freiwillig oder im Rahmen des Digital Services Act (DSA) als Maßnahme einsetzen, etwa mittels optionaler Funktionen oder Hinweisen bei einseitiger Inhaltsauswahl. Zentral ist dabei, eine Balance zwischen Kinder- und Jugendmedienschutz und Informationsfreiheit zu finden. Auf Basis der Ergebnisse wird die KJM nun erste Gespräche mit Plattformen und Gesetzgeber*innen führen, um die Erkenntnisse des Gutachtens vorzustellen.
Zusammenfassende Einschätzung (Aus dem Gutachten)
Das vorliegende Gutachten beschäftigt sich umfassend mit der Frage, ob und inwieweit eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht für bearbeitete Fotos und Videos insbesondere auf Social-Media-Plattformen erforderlich und sinnvoll ist. Der Ausgangspunkt der Untersuchung ist, dass Formen digitaler Retuschen in Medien allgegenwärtig sind und durch die zunehmende Verbreitung leicht zugänglicher Software auch im alltäglichen Kontext zum Einsatz kommen. Die Bearbeitungen, die von subtilen kosmetischen Optimierungen bis hin zu drastischen Veränderungen der Körperproportionen, des Gesichts und des Hautbildes reichen, erfolgen häufig aus dem Grund, dem (vermeintlichen) Schönheitsideal zu entsprechen.
Die Aufarbeitung des Stands der Forschung zur Mediennutzung und deren Auswirkungen auf das Wohlbefinden von Minderjährigen hat gezeigt, dass es Zusammenhänge zwischen dem häufigen Konsum solcher idealisierten Darstellungen und negativen Auswirkungen auf die Körperwahrnehmung, Selbstwahrnehmung und das Selbstwertgefühl gibt. Die Rezeption von retuschierten Darstellungen, insbesondere in sozialen Medien, kann die Erhöhung des sozialen Vergleichsdrucks und die Internalisierung idealisierter Schönheitsnormen begünstigen. Dies kann wiederum Auswirkungen auf Einstellungs- und Verhaltensänderungen haben, die von einer erhöhten Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper bis hin zu ernsthaften psychischen Belastungen und Krankheitsbildern wie z. B. Essstörungen reichen. Obwohl Korrelationen zwischen der Mediennutzung und solchen negativen Effekten auf das Körperbild festgestellt wurden, ist eine (mono-) kausale Verbindung wissenschaftlich nicht ausreichend belegt. Zudem sind spezifische Untersuchungen zur Wahrnehmung und Wirkung von ungekennzeichneten bearbeiteten Darstellungen auf die Körperzufriedenheit von Kindern und Jugendlichen im Kontext von Social Media-Angeboten noch selten. Einzelne Studien deuten darauf hin, dass den eigenen Online-Praktiken – und hier vor allem eigene inhalteproduzierende Aktivitäten – sowie dem Grad der vorhandenen Medienkompetenz eine wichtige mediierende Funktion zukommt.
Auf der Basis der Identifizierung von bearbeiteten Darstellungen als mindestens begünstigender Faktor bei der Entwicklung von verzerrten Schönheitsidealen ist der Gesetzgeber angesichts seines Schutzauftrags im Bereich des Kinder- und Jugendmedienschutzes in der aktuellen Lage berechtigt, aber nicht verpflichtet, eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht für manipulierte Darstellungen einzuführen. Mit Blick auf den aktuellen Rechtsrahmen im Jugendmedienschutz, in der Plattformregulierung und im Wettbewerbsrecht kann festgestellt werden, dass derzeit auch keine expliziten Regelungen für eine Kennzeichnungspflicht für Bild- oder Videomanipulationen existieren. Freiwillige plattformseitige Initiativen in diese Richtung können aber als Maßnahme im Sinne von Art. 28 Abs. 1 DSA zu werten sein. Insgesamt fällt auf, dass der derzeitige Ordnungsrahmen in erster Linie an Einzelinhalten anknüpft, so dass Recht dort herausgefordert ist, wo es um den Umgang mit der kumulativen Wirkung vieler ähnlich wirkender retuschierter Darstellungen geht. Ein Ansatz auf Basis bestehender Vorgaben im Jugendmedienschutz kann sein, die Potentiale für eine Entwicklungsbeeinträchtigung auf Ebene stark schönheitsidealisierender Social-Media-Profile stärker in den Blick zu nehmen.
Die Analyse der Erfahrungen anderer Länder mit existierenden Kennzeichenpflichten und die Untersuchung des Forschungstands zu der Wirkung von Kennzeichnungen auf die Rezipienten lassen Zweifel an der Eignung einer Kennzeichnungspflicht als Schutzmaßnahme vor Körperunzufriedenheit aufkommen. So konnte die Einführung eines gesetzlichen Rahmens in Israel, Frankreich und Norwegen zwar das Bewusstsein für das Problem unrealistischer Körperbilder schärfen, zu konkreten Verhaltensänderungen gibt es bislang aber keine Daten. Zudem stoßen alle drei Länder auf erhebliche technische und (rechts-)praktische Herausforderungen bei der Umsetzung einheitlicher und verlässlicher Kennzeichnungen von bearbeiteten Bildern, was zu Inkonsistenzen in der Praxis führt. Regulatorisch fußen kennzeichenbasierte Regelungsinstrumente auf komplizierten Wirkungsvoraussetzungen, die hohe Ansprüche an eine entsprechende gesetzliche Pflicht stellen. Eine der zentralen Herausforderungen besteht darin, den Anwendungsbereich zu definieren: Wer ist bei welchen Inhalten und bei welchen Bearbeitungsformen zu einer Kennzeichnung verpflichtet? Jede Form der Konkretisierung des Anwendungsbereichs führt unweigerlich zu dem Umstand, dass vergleichbar wirkende bearbeitete Darstellungen aus der Kennzeichnungspflicht herausfallen. In den hochintegrierten Feeds der Sozialen Medien konkurrierten dann gekennzeichnete Darstellungen mit ebenfalls bearbeiteten, aber aus unterschiedlichen Gründen ungekennzeichneten Bildern und Videos. Auch die Durchsetzung einer Kennzeichnungspflicht begegnet erheblichen Herausforderungen: Das schiere Volumen an täglich über verschiedene Plattformen geteilten und größtenteils von Usern generierten Darstellungen sowie die personalisierte Zusammenstellung von Feeds macht eine umfassende Überwachung der Einhaltung von Kennzeichnungspflichten schwierig. Hinzu tritt die oft schwierige Nachweisbarkeit insbesondere bei subtilen Manipulationen oder professionellen Bearbeitungen.
Schließlich weisen wissenschaftliche Untersuchungen zur Wirkung von Kennzeichnungen auf die Verbesserung der Körperzufriedenheit darauf hin, dass die Kennzeichnung regelmäßig keine positive Wirkung hat. Es gibt dagegen Hinweise, dass es durch die Kennzeichnung zu einer Verschlechterung der Körperzufriedenheit kommen kann, weil Rezipientinnen und Rezipienten sich durch die Hinweise – bewusst oder unbewusst - besonders intensiv mit der gekennzeichneten Darstellung auseinandersetzen, was wiederum soziale Vergleichsprozesse auszulösen scheint. Zusammenfassend kommt das Gutachten zu dem Ergebnis, dass eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht von bearbeiteten Bildern und Videos zwar möglich, aber mit komplexen Anforderungen an die Gestaltung und Umsetzung einer solchen Norm verbunden ist. Auch wenn solche Ansätze einen Beitrag zur Förderung von Transparenz und Authentizität in digitalen Medien leisten könnten, bleibt die konkrete Wirksamkeit einer solchen Regelung unklar. Im schlimmsten Fall könnten Kennzeichen dazu führen, dass die Körperunzufriedenheit noch erhöht wird. Vor diesem Hintergrund zeigt das Gutachten Handlungsoptionen für alternative Maßnahmen auf, darunter Möglichkeiten der Veränderung von Empfehlungslogiken bei Plattformen hin zu einer Darstellung vielfältigerer Körperbilder.