
Fragen an Katrin Heyeckhaus, Leiterin Medienpolitik im ZVEI
„Das vergangene Jahr war für die deutsche Elektro- und Digitalindustrie sehr schwierig. Die Branche verbüßte Rückgänge bei allen relevanten Kennzahlen“, sagt ZVEI-Präsident Dr. Gunther Kegel anlässlich der Jahresauftakt-Pressekonferenz des Verbands. Die preisbereinigte Produktion ist von Januar bis einschließlich November 2024 um über neun Prozent eingebrochen. Damit bleibt sie nochmals hinter der Prognose aus dem Herbst von minus sieben Prozent zurück. Hochgerechnet auf das Gesamtjahr 2024 ergibt sich daraus ein Umsatz von etwa 223 Milliarden Euro – nach 238 Milliarden Euro im Jahr davor. Aus Sicht des ZVEI ist die politische Regulatorik aus dem Ruder gelaufen. 13.000 neue EU-Regulierungen in den zurückliegenden fünf Jahren – während in den USA gerade einmal 3.000 hinzukamen. Laut Normenkontrollrat liegen die Bürokratiekosten für die deutsche Wirtschaft bei über 65 Milliarden Euro jährlich – Geld, das für Investitionen und damit neue Wertschöpfung fehlt. „Man muss inzwischen wirklich von einem Regulierungsdickicht sprechen“, so Kegel.
medienpolitik.net: Frau Heyeckenhaus, mit welchen medienpolitischen Themen wird sich ihr Verband 2025 vor allem befassen?
Heyeckhaus: Ende 2024 haben die Länderchefinnen und -chefs den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag beschlossen. Mit dem Entwurf werden erstmals Anbieter von Betriebssystemen in den Regelungsbereich einbezogen. Diese sollen künftig verpflichtet werden, Jugendschutzeinstellungen für Endgeräte zur Verfügung zu stellen, mit denen der Zugang zu Inhalten wie Apps nach Altersstufen gesteuert werden kann. Sobald der Entwurf von den Länderparlamenten ratifiziert wird, hat diese Regelung weitreichende Implikationen für die Mitgliedsunternehmen des ZVEI, denen dann die technische Umsetzung in ihren Endgeräten obliegt. Diese äußerst kritische Tendenz weg vom inhaltsbezogenen Regulierungsansatz wird durch die getroffenen Regelungen im Jugendmedienschutz weiter verstetigt. Das nächste Aktionsfeld ist mit dem Thema Altersverifikation bereits gefunden. Anstatt zu gewährleisten, dass Plattformen aktiv ihre Nutzerinnen und Nutzer -insbesondere Kinder und Jugendliche - vor gefährdenden Inhalten schützen, wird diskutiert, die Pflichten zur Gewährleistung des Jugendmedienschutzes auf Dritte - etwa die Anbieter von Betriebssystemen oder Endgeräten - zu übertragen. Der ZVEI widerspricht der Entwicklung, Regulierungspflichten aus reinen Praktikabilitätsgründen Dritten aufzuerlegen. Denn so werden lediglich diejenigen, die für problematische Inhalte verantwortlich sind, aus ihrer Verantwortung entlassen und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit leichtfertig missachtet.
Zudem wurde die deutsche Regelung verabschiedet, obwohl die EU-Kommission noch im November 2024 die Unvereinbarkeit des Entwurfs mit EU-Recht bestätigt hatte. Denn die Regelungen schaffen erneut nationale Sonderanforderungen, welche eine Anpassung der Geräte allein für den deutschen Markt erforderlich machen. Hier gilt es, die Warenverkehrsfreiheit und das Herkunftslandprinzip durchzusetzen. Die Europäische Kommission ist hier gefordert, bei Verstößen der Mitgliedstaaten alle ihr zur Verfügung stehenden Maßnahmen zu ergreifen. Denn ohne Vollzug grundlegender europäischer Regelungen wird die Europäische Union geschwächt, das gilt sowohl gegenüber den Unternehmen als auch gegenüber den Mitgliedstaaten und in Bezug auf andere Weltregionen.
„Anstatt zu gewährleisten, dass Plattformen aktiv ihre Nutzerinnen und Nutzer -insbesondere Kinder und Jugendliche - vor gefährdenden Inhalten schützen, wird diskutiert, die Pflichten zur Gewährleistung des Jugendmedienschutzes auf Dritte - etwa die Anbieter von Betriebssystemen oder Endgeräten - zu übertragen.“
Auf der Agenda des ZVEI steht für 2025 außerdem die Frage, wie der im vergangenen Jahr verabschiedete European Media Freedom Act (EMFA) in Deutschland "umgesetzt" wird. Zwar ist dieser als EU-Verordnung in Deutschland unmittelbar anwendbar, jedoch stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die Anwendbarkeit des EMFA auf die sich überschneidenden Regelungen des Medienstaatsvertrags hat. Hier muss mehr Rechtsklarheit für die betroffenen Unternehmen geschaffen werden. Dies betrifft zum einen die Umsetzung der Personalisierungsvorgaben auf Benutzeroberflächen, zum anderen mögliche Auswirkungen auf die angekündigte Novellierung des Medienkonzentrationsrechts. Letzteres ist ebenfalls ein Thema, das der Verband mit großer Aufmerksamkeit verfolgen, um Doppelungen mit dem Kartellrecht zu vermeiden und sicherzustellen, dass zielgenau vielfaltsmindernde Faktoren berücksichtigt werden.
medienpolitik.net: Die EU hat eine neue Kommission gewählt. Welche Themen, die für Ihren Verband relevant sind, sollten auf der Agenda der EU-Kommission in der nächsten Legislaturperiode stehen?
Heyeckhaus: Für die Anbieter von Endgeräten wie Fernseher oder Streaming-Sticks ist die Rechtslage unübersichtlich geworden. Sie zu vereinfachen bleibt ein wichtiges Anliegen des ZVEI. Es gelten klassische Produktvorschriften, etwa zur Ressourcen- und Energieeffizienz oder zur Entsorgung. Hinzugekommen sind Regelungen, die Unternehmen nicht nur in ihrer Funktion als Gerätehersteller, sondern wie im Fall des Medienstaatsvertrags oder des EMFA auch als Anbieter von Benutzeroberflächen oder von Betriebssystemen betreffen. Dabei ist es für die Unternehmen nicht einfach ersichtlich, inwiefern sie überhaupt betroffen sind. Neben der inhaltlichen Vielfalt der Regelungen kommt bei Mitgliedsunternehmen des ZVEI hinzu, dass sie nicht nur auf dem deutschen Markt, sondern in allen EU-Mitgliedstaaten tätig sind. Da Regelungen zu Benutzeroberflächen dem Medienrecht zugeordnet werden oder Regelungen zu Betriebssystemen im Zusammenhang mit dem Jugendmedienschutz getroffen werden, leiten die Mitgliedsstaaten nationale Zuständigkeiten ab. Dies führt dazu, dass neben der deutschen Regelung inhaltlich abweichende Regelungen etwa in Italien und Frankreich gelten. Das heißt auch, dass für die einzelnen nationalen Märkte unterschiedliche technische Lösungen gefunden werden müssen.
„Regelungen, die die Medienpolitik im engeren Sinne, also die Medieninhalte betreffen, sind eindeutig Sache der Mitgliedstaaten. Regelungen, die sich auf Endgeräte wie Fernseher beziehen, müssen hingegen in der Kompetenz der Europäischen Kommission verbleiben.“
Aus Sicht des ZVEI gibt dieses unübersichtliche Regelungsgeflecht Anlass, die Regelungskompetenzen klar abzugrenzen: Regelungen, die die Medienpolitik im engeren Sinne, also die Medieninhalte betreffen, sind eindeutig Sache der Mitgliedstaaten. Regelungen, die sich auf Endgeräte wie Fernseher beziehen, müssen hingegen in der Kompetenz der Europäischen Kommission verbleiben. Für eine europäische Regelung zur hervorgehobenen Auffindbarkeit ergibt sich aus dieser in der Auslegungspraxis geteilten Kompetenz zwischen Mitgliedstaaten und EU, dass Regelungen, welche die Bestimmung und Auswahl sogenannter „Public Value“-Inhalte betreffen, Sache der Mitgliedstaaten bleiben. Regelungen zur technischen Umsetzung der hervorgehobenen Auffindbarkeit auf Benutzeroberflächen und Endgeräten müssen hingegen auf europäischer Ebene harmonisiert getroffen werden. Damit soll erreicht werden, dass eine technische Lösung zur Umsetzung von Public Value europaweit akzeptiert wird.
Der ZVEI setzt sich für eine harmonisierte Regelung auf europäischer Ebene ein. Mit der anstehenden Evaluierung der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste besteht jetzt die Chance, einen solchen Regelungsansatz aufzunehmen. Einen ähnlichen Regelungsansatz können wir uns auch im Bereich des Jugendmedienschutzes vorstellen. Auch hier kann eine europäische Regelung mehr Einheitlichkeit in der gesamten EU herstellen. Denn wie in Deutschland, wurden auch in Frankreich, Italien und Spanien Jugendmedienschutzanforderungen zum Anlass genommen, Regelungen zur Umsetzung für Benutzeroberflächen, Betriebssysteme und Endgeräte zu treffen.
Eine europaweite Vereinheitlichung der funktionalen Anforderungen zur hervorgehobenen Auffindbarkeit und zum Jugendmedienschutz, wäre ein Schritt zur Vereinfachung der gesetzlichen Anforderungen. Darüber hinaus ist grundsätzlich ein Abgleich von neu getroffenen Regelungen mit bestehenden Regelungen erforderlich. Für die Unternehmen in Deutschland und der EU muss klar sein, wie sie sich rechtskonform verhalten können und die Umsetzung muss für Unternehmen aller Stärken und Größen machbar bleiben, um den Standort zu stärken und die Innovationskraft zu fördern.